Wassergewalt im Mittelmeer

Im Februar 2020 wird Purple Sea (Amel Alzakout mit Khaled Abdulwahed) erstmals auf der Berlinale gezeigt, ein Dokumentarfilm, der den Zeit-Raum im Wasser infolge eines Schiffbruchs in der Ägäis aus einer ungewohnten Perspektive zeigt: Nicht auf das Wasser, sondern aus dem Wasser heraus. Etwa drei Jahre zuvor erscheint Havarie (Philip Scheffner, 2016). Beide Dokumentarfilme erzählen die Überfahrt Flüchtender über das Mittelmeer auf ganz unterschiedliche Weise. Ihnen ist gemein, dass sie weder die Abfahrt noch die Ankunft darstellen, sondern von der Überfahrt selbst ausgehen und den Zeit-Raum im bzw. auf dem Wasser nicht auflösen. Wasser spielt in beiden Filmen eine wesentliche Rolle: die Materialität des Wassers in Purple Sea und der Blick auf das Wasser in Havarie.
Ausgehend von Purple Sea und Havarie geht es Marie Aline Klinger darum, Interferenzen von Wasser, Gewalt und Widerstand im Kontext der Überfahrt Flüchtender entlang der Mediterranean frontier zu protokollieren, um Gefüge zu versammeln, die ‚das Sterben im Mittelmeer‘ problematisieren. Dabei möchte sie Wasser in seiner Medialität, Materialität und Semiotik explizit adressieren, um so unterschiedlichen Wasserbeziehungen nachzuspüren: Wie lässt sich der medial vermittelte Blick auf das Wasser selbst als gewaltsamer verstehen? Welche Rolle spielt die Naturgewalt des Meeres in der Frage nach ‚dem Sterben im Mittelmeer‘? Wie lassen sich wasserbegriffliche Zuschreibungen wie die sogenannte ‚Flüchtlingswelle‘ in einen Zusammenhang mit der tödlichen Materialität des Wassers stellen? In welchem Verhältnis stehen Formen der Gewalt und Praktiken des Widerständigen entlang der Mediterranean Frontier? Und welche Methodik des schreibenden Denkens und der Positionierung lässt sich entwickeln, um sich diesen Fragen zu nähern?