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27.05.2021 Leipziger Buchmesse

Menschen sind miteinander verbunden

Miteinander leben, sprechen und menschliche Werte leben – dafür sprachen sich in ihren Redebeiträgen die beiden Preisträger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung von 2021 und 2020: Johny Pitts und László F. Földényi sowie Laudatorin Elisabeth Ruge in Leipzig anlässlich der Eröffnung des Lesefestes Leipzig liest extra aus.

Der britische Essayist und Fotograf wurde für sein Buch „Afropäisch. Eine Reise durch das schwarze Europa“ mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2021 in der Nikolaikirche ausgezeichnet. Es sei frustrierend, wegen Covid nicht bei Ihnen sein zu können. Er sei im Geiste aber in Leipzig. Johny Pitts – aufgrund der jüngsten Reiseregeln live aus UK zugeschaltet – freute sich darüber, dass er die Preisbühne mit László F. Földényi teilen durfte. „Die Unfähigkeit Europas, mit seiner kolonialen Geschichte richtig umzugehen, führt in der Gegenwart oft zu einer Art kultureller Psychose“, zog der Preisträger 2021 in seiner Dankesrede eine Verbindung zwischen beiden Werken. Für sein in der Nikolaikirche ausgezeichnetes Werk „Afropäisch“ bereiste Johny Pitts in den Jahren nach 2010 – und damit nach der großen Finanzkrise von 2008 – die Metropolen Europas auf den Spuren gelebter afropäischer Kultur. „Die europäischen Staats- und Regierungschefs dieser Zeit, von Angela Merkel bis David Cameron und Nicholas Sarkozy, gaben alle zu Protokoll, dass der Multikulturalismus ‚gescheitert“ sei“, so der Essayist und Fotograf. „Was ich während des Schreibens von Afropean gelernt habe, war, dass Multikulturalität am besten ist, wenn sie nicht vom System inszeniert wird und dass all diese Systeme, von denen ich dachte, sie seien dafür verantwortlich, die Menschen zusammenzubringen, nur auf das reagierten, was auf der Straße bereits vor sich ging.“ Es bestehe kein Zweifel daran, dass die Politik diese Art von Geselligkeit fördern oder behindern könne. Er jedoch fühle sich Europa heute näher als vor dem Brexit und sei sich sicherer, dass Europa seine Heimat sei. „Wenn mein Buch irgendetwas erreicht, dann ist es die Menschen daran zu erinnern, dass Menschen trotz vermeintlicher Unterschiede immer noch miteinander verbunden sind, und egal, was auf staatlicher Ebene passiert, egal, wie zynisch und verlogen die Rhetorik unserer Politiker ist, die Gemeinschaften bleiben bestehen, das Leben geht außerhalb des offiziellen Lebens weiter“, betonte er abschließend optimistisch.

Neugier und Menschlichkeit

Johny Pitts‘ Interesse gelte dem großen Versprechen des Begriffs „afropäisch“ – eines Begriffs, der aus der Welt der Musik und der Mode stamme, erklärte Laudatorin Elisabeth Ruge. Die Menschen, denen er in der Schwarzen Diaspora begegnet sei, hätten meist andere Geschichten zu erzählen. Oft sei ihr Alltag von harter Arbeit, harter Disziplin und trotzdem von großer Armut und Entbehrung geprägt. „Es ist eine fast vollkommen unsichtbare Existenz, Lebensschicksale, denen die europäische Gesellschaft keine Beachtung schenkt, keinen Respekt entgegenbringt. Dies sind Menschen, denen Tag für Tag die Würde aberkannt wird“, so Elisabeth Ruge. Johny Pitts mache diese Menschen sichtbar. Sein von Neugier und Menschlichkeit erfüllter Blick verschließe sich dabei nicht dem Widersprüchlichen. Es sei ein auch melancholischer Blick, von Offenheit auch dort getragen, wo man unmittelbar auf Veränderung nicht hoffen könne. „Und dennoch ist sein Bericht Voraussetzung für das, worauf wir hoffen müssen: eine gerechtere Gesellschaft, eine Gesellschaft, die sich auf ihre menschlichen Werte besinnt, eine Gesellschaft, die das Fremde als Bereicherung erlebt, eine Gesellschaft, die, angeleitet durch das melancholisch-utopische Werk von Johny Pitts, politisch in Aktion tritt. Eine Gesellschaft, die ihren Schwarzen Mitmenschen Self-Reliance und Selbstachtung ermöglicht“, erläutert die Lektorin, Verlegerin und Literaturagentin und fordert abschließend: „Wir sind voneinander abhängig, wir sollten den anderen sichtbar machen, ihm mit jener nüchternen ‚Kindness‘, jener pragmatischen Sympathie begegnen, die eine bessere Gesellschaft zumindest zu einer Möglichkeit werden lässt.“

Plädoyer für die Melancholie und die menschlichen Werte

Aufgrund der pandemiebedingten Absage der Leipziger Buchmesse 2020 konnte der László F. Földényi seinen Preis für sein Buch „Lob der Melancholie. Rätselhafte Botschaften“ erst in diesem Jahr in Empfang nehmen. In seiner Dankesrede äußerte sich der ungarische Kunsttheoretiker, Literaturkritiker und Übersetzer László F. Földényi, Träger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung 2020 lobend: „Was könnte man alles loben? Auf Anhieb fällt mir da ein: Das Lob der freien Rede, der offenen Gesellschaft, des Umweltschutzes, des Liberalismus; das Lob einer Politik, die sich dem entfesselten Kapital widersetzt. Und so weiter.“ Ein Thema sei aktueller als das andere, zumal in einer von Krisen geprägten Zeit. „Die auslösende Ursache der Krise war in Wahrheit etwas, was ich als den zunehmenden Verlust der menschlichen Werte bezeichnen möchte. Und damit sind wir schon beim Thema der Melancholie.“, wie László F. Földényi betonte. Im Buch beschäftige er sich mit der Krise unserer Zeit, zu deren Hauptmerkmalen das Vergessen gehöre. „Wenn eine gegebene Zivilisation vergesse, wie zerbrechlich ihr Sein ist, wie außergewöhnlich, wie einmalig ihre Situation nicht nur innerhalb der Menschheitsgeschichte, sondern auch im Universum sei, wie verschwindend gering die ihr zugemessene Zeit im Vergleich zur universellen Zeitlosigkeit sei, wenn sie das also vergisst, bemächtigt sich ihrer der Hochmut, die Hybris, und sie nimmt auf nichts mehr Rücksicht“, so der Preisträger 2020. Melancholie verhelfe zu mehr Offenheit. Sie helfe zu erkennen, dass die Menschheit nicht allmächtig sei. „Ich sprach vom Verlust der menschlichen Werte. Man bemüht sich, etwas dagegen zu unternehmen – mit Taten, mit Worten. Oder mit Büchern“, setzte er fort. „Dieser Leipziger Buchpreis zeigt – wirft man einen Blick auf die Liste der bisherigen Preisträger –, dass es noch Inseln gibt, wo man versucht, dem allgemeinen Zeitgeist wirksam entgegenzutreten, gerade im Namen der menschlichen Werte.“

Der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung wird seit 1994 jährlich von der Stadt Leipzig, dem Freistaat Sachsen, dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der Leipziger Buchmesse vergeben.

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